Stellungnahme zu zwei Medienberichten, Deutschlandfunk Kultur und Bayerischer Rundfunk

Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Mohamed Ibrahim. Ich bin Deutsch-Ägypter. Seit Anfang
September 2022 bin ich Imam am Islamischen Zentrum München. Von der
Ausbildung her bin ich Islamwissenschaftler, Islamischer Theologe,
Korangelehrter, Wirtschaftsingenieur und Dolmetscher und Übersetzer.
Nun zum Thema:
Am Montag, den 26.09.2022 ist Prof. Dr. Yusuf Al-Qaradawi im Alter von
96 Jahren gestorben. Er ist ein weltweit bekannter und renommierter
muslimischer Gelehrter unserer Zeit. Für mich war das Anlass, bei der
darauffolgenden Freitagspredigt am 30.09.2022 über ihn zu sprechen. Die
Predigt ist sowohl in arabischer als auch in deutscher Sprache auf YouTube
abrufbar. Es möge sich jede und jeder die Predigt anschauen/anhören und
eine eigene Meinung darüber bilden:
Deutsch: https://youtu.be/DO4Z15ff3IM
Arabisch: https://youtu.be/8HQFnZ9ZjQU
Am Freitag, den 28.10.2022 gab es einen Radiobeitrag für den
Deutschlandfunk Kultur mit dem Titel: Islamismus, Katars Einfluss reicht
bis nach Bayern, der auch als Text auf der Sender-Webseite veröffentlicht
wurde.
Drei Wochen später, am Freitag, den 18.11.2022 wurde ein Beitrag auf der
Webseite des Bayerischen Rundfunks veröffentlicht, mit dem Titel:
Diskussion um Nachruf auf „Extremisten“ in Münchner Moschee.
In beiden Beiträgen hat der Redakteur zwei kleine Stellen meiner Predigt
zitiert!
Diese Art der Berichterstattung hat mich zunächst sprach- und fassungslos
gemacht, zumal ich in den letzten Jahren als Imam und Geschäftsführer des
Islamischen Kulturzentrums Wolfsburg im Norden der Republik sehr viele
positive Erfahrungen mit unterschiedlichen Medien wie dem NDR, der
Braunschweiger Zeitung oder den Wolfsburger Nachrichten gemacht habe.
Ich musste mir die Zeit nehmen, um sachlich und ruhig dazu Stellung zu
nehmen.

Das möchte ich nun im Folgenden tun:

  1. Meine zwei zitierten Stellen:
  • „Von unserem großen Gelehrten: Den habe ich oft zitiert in Predigten und
    in Vorträgen“
    Das ist zunächst einmal falsch zitiert! Richtig ist: „Diese Worte habe ich
    gelernt, von unserem großen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi, und die habe
    ich oft zitiert in Predigten und in Vorträgen.“ Mit „diese Worte“ ist
    folgendes Zitat gemeint, mit dem ich meine Predigt begonnen habe: „Der
    Islam ist ein Glaube, dessen Wesen der Eingottglaube ist (tauhid), eine
    Anbetung, ein Gottesdienst, dessen Wesen die Aufrichtigkeit ist (ichlas),
    ein Umgang mit den Menschen, dessen Wesen die Wahrhaftigkeit ist
    (sedq), ein Charakter, ein Benehmen, dessen Wesen die Barmherzigkeit ist
    (rahma) und eine Gesetzgebung, deren Wesen die Gerechtigkeit ist (adl).“
    Der Redakteur hat hier eindeutig sinnenstellend zitiert. Es stellt sich daher
    berechtigterweise die Frage, welches Bild er mit dieser falschen Aussage
    zeichnen wollte?
    Je nach Thema und Kontext zitiere ich Wissenschaftler, Religionsgelehrte,
    Philosophen oder Literaten. Wichtig für mich ist, was ich zitiere und
    welche Botschaften ich damit vermittle.
  • „Erlaubtes und Verbotenes im Islam gibt es auch in deutscher
    Übersetzung.“
    Meines Wissens handelt es sich hierbei um das einzige Werk al-Qaradawis,
    das in Gänze ins Deutsche übersetzt worden ist. Daher war dieser Hinweis,
    meines Erachtens, wichtig, damit der/die deutschsprachige Zuhörer/in eine
    Möglichkeit hat, sich direkt mit dem Wissen/Denken von al-Qaradawi
    auseinanderzusetzen und sich ein eigenes Bild davon zu machen.
  1. Die zwei Punkte gegen al-Qaradawi:
  • „Die letzte Bestrafung stammte von Hitler. Auch wenn einiges davon
    übertrieben ist: Es war eine göttliche Strafe. Das nächste Mal soll dies im
    Land der Gläubigen passieren.“
    Wenn dieses Zitat richtig sein sollte, dann liegt al-Qaradawi hier eindeutig
    falsch. Erstens, weil niemand befugt ist, im Namen Gottes zu sprechen und
    somit mit Gewissheit zu einer Sache zu sagen, dass es sich hierbei um eine

göttliche Strafe handle. Und zweitens, weil in dieser Aussage das
Verbrechen Nazi-Deutschlands an den Juden verharmlost bzw.
gerechtfertigt wird, was aus islamischer Sicht nicht akzeptiert werden
kann.

  • „darf er sie leicht mit den Händen schlagen, wobei er das Gesicht und
    andere empfindliche Stellen zu meiden hat“
    Hierzu muss man ergänzend wissen, dass im Buch zu dieser Thematik
    nicht nur diese zwei Zeilen stehen, sondern fast ganze zwei Seiten (175-
    176), denen man nicht entnehmen kann, dass er das Schlagen der Frau
    gutheißt oder gar befürwortet, sondern eher das Gegenteil. Zur besseren
    Einordnung muss man auch wissen, dass dieses Buch vor über sechzig
    Jahren, 1960, in arabischer Sprache in Ägypten veröffentlicht wurde und
    entsprechend unseren Maßstäben hier und heute nicht entsprechen kann.
    Meine persönliche Haltung, und die des IZM, ist die, dass weder
    körperliche noch verbale Gewalt in den Familien Platz haben darf.
  1. Ich bin wahrlich, weiß Gott, kein Freund davon, dass eine Minderheit
    sich in eine Opferrolle begibt bzw. darin verharrt. Aber diese Art der
    rücksichts- und respektlosen Berichterstattung erinnerte mich an folgende
    Aussage des kanadischen Philosophen und Religionssoziologen Charles
    Tailor: „Sobald diesen Anderen einmal die Mündigkeit abgesprochen ist,
    ist die Bahn frei, sie ohne Rücksicht und Respekt zu behandeln.“
  2. In ihrem aktuellen Buch „Die vierte Gewalt“ gehen Richard David
    Precht und Harald Welzer mit den „Leitmedien“ hart ins Gericht. Unter
    anderem stellen sie die These auf, dass die veröffentlichte Meinung die
    öffentliche Meinung, ja sogar die politische Meinung bestimmt bzw. stark
    beeinflusst. Ich bin der Meinung, dass wir in unserem Fall hier ein
    Paradebeispiel dafür haben. Es ist bedauerlich, dass einige Politiker/innen
    sich an dieser „Kampagne“ beteiligt haben, ohne sich zu informieren und
    auch ohne das Gespräch mit uns zu suchen. Schockierend sind darüber
    hinaus die über 200 Kommentare unter dem BR-Beitrag, die sich
    größtenteils gegen den Islam und die Muslime richten; da erlebt man, was
    die veröffentlichte Meinung mit der öffentlichen Meinung macht!
  3. Mir ist bewusst, dass ich mich mit dieser Stellungnahme eventuell
    medialen und politischen Angriffen aussetze. Aber ich kann nicht anders,
    als meine Stimme zu erheben:
  • Meine Stimme zu erheben, im Sinne der Wahrheit, nämlich, dass die
    Öffentlichkeit ein Anrecht auf eine wahrheitsgetreue Berichterstattung hat.
  • Meine Stimme zu erheben, im Sinne der Freiheit; der Religionsfreiheit
    und der Meinungsfreiheit.
  • Meine Stimme zu erheben, im Sinne der Menschenwürde, die laut
    Verfassung unantastbar ist.
  • Meine Stimme zu erheben, im Sinne des guten Miteinanders und der
    Vielfalt in unserer Gesellschaft.
  • Meine Stimme zu erheben, im Sinne meiner Kinder und der vielen alten
    und jungen Menschen muslimischen Glaubens hierzulande, denen die
    Zugehörigkeit zu diesem Land und die Identifikation damit als Heimat
    durch solche unverantwortliche Berichterstattung erschwert wird.
  1. Ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, wenn wir von
    Medienschaffenden Fairness und Sachlichkeit erwarten, und auch, dass
    keine Manipulation bzw. keine Stimmungsmache von ihnen betrieben
    wird.
    Abschließend stellt sich die Frage: Bestand tatsächlich ein öffentliches
    Interesse an unseren Predigten bzw. an unserer Arbeit?!
    Der Redakteur wurde im Vorfeld seines ersten Beitrags für den
    Deutschlandfunk Kultur zu unserer Veranstaltung „Goethe und der Islam“
    am 15.11.2022 eingeladen, mit der Möglichkeit eines persönlichen
    Hintergrundgesprächs mit mir. Er hat das Angebot einfach ignoriert!
    Wir feiern in diesem Jahr unser fünfzigjähriges Bestehen. Unser Haus steht
    allen Menschen, Muslimen und Nichtmuslimen, offen. Jede/r ist
    willkommen, die/der uns besuchen und mit uns ins Gespräch kommen
    möchte. Eine Gelegenheit hierzu gibt es zum Beispiel am Dienstag, den
    24.01.2023 um 19:30 Uhr beim Vortrag „Wer bin ich? Menschenbild im
    Islam.“
    Vielen Dank.

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